Die erloschene Spur

Die NEUE SÜDTIROLER TAGESZEITUNG über den Fall Josef Steinkasserer (2006)

Monatelang hat die Staatsanwaltschaft Bozen im Geheimen zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle in Südtirol ermittelt: den Fall Josef Steinkasserer. Die Hoffnung, den Mord an der Häuserin Luise Fliri Platzgummer nach mehr als drei Jahrzehnten mit einer DNA-Analyse doch noch aufklären zu können, hat sich jetzt zerschlagen. Somit bleibt der Mord in Ulten unaufgeklärt – es sei denn, der Pfarrer bricht endlich sein Schweigen.

Es war eine der letzten Amtshandlungen des Leitenden Oberstaatsanwaltes am Landesgericht in Bozen. Kurz vor seiner Wahl zum Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hat Cuno Tarfusser im Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Padua formell nachgefragt, ob das dort bis heute aufbewahrte Spurenmaterial zum Mordfall Luise Fliri Platzgummer DNA-tauglich sei. Zahlreich „alte“ Mordfälle, die so genannten „cold cases“, konnten mit den neuen gerichtsmedizinischen und labortechnischen Instrumentarien, wie beispielsweise dem DNAVerfahren, nach Jahrzehnten aufgeklärt werden. Die Hoffnung der Ermittler, den vielleicht spektakulärsten Kriminalfall der Nachkriegszeit in Südtirol nach mehr als drei Jahrzehnten doch noch aufklären zu können, hat sich jetzt zerschlagen.

Die Tageszeitung kann die einzelnen Etappen dieser unter strengster Geheimhaltung durchgeführten Nachermittlung nun rekonstruieren. Eine Rückblende: In der Nacht auf den 7. November 1973, also vor mehr als 35 Jahren, wurde im Widum von St. Gertraud im Ultental die damals 64-jährige Pfarrhaushälterin Luise Fliri Platzgummer ermordet. Der Mord löste in der Südtiroler Öffentlichkeit und weit über die Grenzen hinaus großes Entsetzen aus. Die Bluttat hinter geweihten Mauern wurde im frommen Südtirol als Entweihung empfunden. Ein Sakrileg. Wenige Tage nach der Bluttat im Widum kam es zum ersten Paukenschlag: Pfarrer Josef Steinkasserer, damals 34, wurde unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen. Ein Geistlicher als Mörder? Südtirol stand unter Schock. Die Indizien gegen den Gottesmann waren schwerwiegend: Josef Steinkasserer erklärte den Ermittlern, dass zwei maskierte Männer in das Pfarrhaus eingedrungen seien (wer überf.llt ein Pfarrhaus im hintersten Ultental mit einer einzigen Fluchtroute von über 30 Kilometern?); einer der Täter sei mit einer Pistole bewaffnet gewesen und diesen Täter habe er in die Flucht geschlagen, indem er ihm einen Steinkrug entgegen geschleudert habe (lässt sich ein mit einer Pistole bewaffneter Mann so leicht in die Flucht schlagen?); während im Zimmer der Häuserin eine große Unordnung herrschte, waren das Büro und das Zimmer des Geistlichen (wo ein paar 100.000 Lire zu holen gewesen wären) unberührt geblieben; Josef Steinkasserer ließ eine Dreiviertelstunde (sic!) verstreichen, ehe er Hilfe holte, und der Pfarrer ging auch nicht in das Zimmer, um nachzusehen, ob seiner Häuserin etwas passiert sei (was das Naheliegendste gewesen wäre, zumal es sich bei Luise Fliri Platzgummer um die einzige noch im Haus wohnhafte Person gehandelt hatte).

Der Tatort in St. Gertraud im Ultental: Vergebliche Suche nach dem zweiten Mann

Ein weiteres Indiz: Josef Steinkasserer gab an, dass die maskierten Männer vom Dach des Holzschuppens durch ein Fenster in das Pfarrhaus eingestiegen seien, doch zahlreiche Glasstücke lagen auf dem Dach (was darauf schließen lässt, dass das Fenster von innen eingeschlagen worden war). Die damalige Hypothese der Ermittler: Josef Steinkasserer habe die Dreiviertelstunde verstreichen lassen, um den Täter, den er decke, die Möglichkeit zu geben, aus dem Tal zu fliehen; der Pfarrer habe die Geschichte mit den maskierten Räubern frei erfunden. Als Tatmotiv nahmen der mit den Ermittlungen betraute Staatsanwalt, Luigi Domenico Cerqua, und Carabinieri-Hauptmann Arno Mandolesi an, dass der Pfarrer sich in jener Nacht der Häuserin sexuell habe nähern wollen. Und nachdem er von der strenggläubigen Frau abgewiesen worden sei, habe er – auch um einen Skandal zu vermeiden – Luise Fliri Platzgummer ermordet. Es folgte dann ein regelrechter Prozess-Marathon: Die Kurie hatte für ihren in Ungnade gefallenen Sohn keine Kosten gescheut, die besten Advokaten und teure Detektive engagiert. Für den Klerus stand damals viel auf Spiel: Ein Pfarrer als Mörder der Häuserin – das wäre ein Image-GAU gewesen. Im ersten Schwurgerichtsprozess in Bozen, der am 24. April 1974 begann, wurde Pfarrer Josef Steinkasserer von der Mordanklage freigesprochen – aber nur aus Mangel an Beweisen. Der Pfarrer war offiziell zwar wieder in Amt und Würden. Aber die Zweifel blieben. Nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung konnte Josef Steinkasserer in seinen Heimatort Ahornach zurückkehren, wo ihm die Bevölkerung einen herzlichen Empfang bereitete.

Die Ermittlung von Cuno Tarfusser zielte darauf ab, dem zweiten Mann im Mordfall Luise Fliri Platzgummer ein Gesicht zu geben. Wenn das unter den Fingernägeln des Opfers gesicherte Spurenmaterial DNA-tauglich gewesen wäre, hätte man nach 36 Jahren den genetischen Fingerabdruck des Täters gehabt.

Im Juni 1975 fand in Trient der Berufungsprozess statt. Und wiederum gab es für den Pfarrer nur einen Freispruch aus Mangel an Beweisen. Im April 1977 kam es in Venedig zum nächsten Paukenschlag: Im dritten Schwurgerichtsprozess wurde Josef Steinkasserer des Mordes an der Häuserin Luise Fliri Platzgummer für schuldig befunden und am 28. April 1977 zu 14 Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Schock für den Angeklagten. Ein Schock für dessen Verteidiger (Hugo Gamper). Und ein Schock für das ganze Land. Die Tageszeitung „Dolomiten“ sprach damals von einem „unfassbaren Urteil“. Vier Jahre später, im März 1981, kam es zum vierten Schwurgerichtsprozess im Fall Steinkasserer: In Brescia wurde Josef Steinkasserer, der von Roland Riz verteidigt worden war, freigesprochen. Aber wiederum nur aus Mangel an Beweisen. Dieses Urteil erlangte in der Folge Rechtskraft. Und es wurde still um Josef Steinkasserer, der seitdem und bis heute im hintersten Ahrntal als Pfarrer wirkt. Der Autor dieser Zeilen veröffentlichte im Herbst 2006 eine 500 Seiten starke Dokumentation zum Fall Steinkasserer – mit einer völlig neuen These. Demnach komme Josef Steinkasserer nicht als materieller Täter in Frage. Unter den Fingernägeln der Toten waren nämlich Hautpartikel und Blutspuren (die von so genannten Abwehrverletzungen herrühren) der Blutgruppe 0 gesichert. Pfarrer Josef Steinkasserer hat Blutgruppe B. Wohl aber, so die These in dem Buch, wisse Josef Steinkasserer viel mehr, als er zugegeben habe.

Hauptmann Arno Mandolesi mit Pfarrer Josef Steinkaserer und Dekan Georg Peer: Mord mit sexuellem Motiv?

In dem Buch wird ein Kurien-Insider zitiert, der ein alternatives, aber äußerst plausibles Szenario zeichnet: Demnach habe die Widumhäuserin von St. Gertraud in jener Nacht (oder bereits einige Tage zuvor) etwas gesehen (Frauengeschichten?), was sie nicht hätte sehen dürfen und dem Pfarrer gedroht, die Kurie zu informieren. Der Pfarrer habe sich dann besorgt an einen Bekannten (einen Priester?) gewandt, der die Häuserin beschwichtigen sollte. Was als klärendes Gespräch gedacht gewesen sei, sei dann in einen Streit ausgeartet, der mit einem Mord (Totschlag) geendet habe. Ein solches Szenario würde auch erklären, warum Pfarrer Josef Steinkasserer bis heute geschwiegen hat. Denn er hätte, wenn er denn mit der ganzen Wahrheit herausgerückt wäre, vermutlich einen zweiten Kirchenmann in die Mordgeschichte hineingezogen, was für ihn schwerer zu ertragen gewesen wäre als die Mordanklage, derer er sich, weil nicht der materielle Täter, nicht schuldig wusste. Der Kirchen-Insider stellt in dem Buch die These auf, dass sich Josef Steinkasserer „geopfert“ habe, „um von der Kurie noch größeres Unheil abzuwenden“. Josef Steinkasserer selbst wollte zu diesen und anderen Rechercheergebnissen nicht Stellung nehmen.

Die von Cuno Tarfusser vor wenigen Monaten initiierte und dann von Guido Rispoli fortgeführte Nachermittlung zielte darauf ab, dem phantomatischen zweiten Mann im Mordfall Luise Fliri Platzgummer ein Gesicht zu geben. Denn wenn das unter den Fingernägeln des Mordopfers gesicherte Spurenmaterial DNA-tauglich gewesen wäre, hätte man nach knapp 36 Jahren den genetischen Fingerabdruck des Täters gehabt – und diesen dann mit dem DNA von etwaigen Verdächtigen abgleichen können. Vor wenigen Tagen erhielt Guido Rispoli den ernüchternden Bescheid aus der Rechtsmedizin in Padua: Das Spurenmaterial sei nicht mehr DNA-tauglich. Somit dürfte der Mord an der armen Häuserin wohl unaufgeklärt bleiben. Es sei denn, Pfarrer Josef Steinkasserer bricht endlich sein Schweigen.

Die großen Kriminalfälle II

edition AROB

In der Nacht auf den 7. November 1973 wurde im Widum von St. Gertraud im
Ultental die 64-jährige Pfarrhaushälterin Luise Fliri Platzgummer ermordet.
Der Mord löste in der Südtiroler Öffentlichkeit und weit über die Grenzen hinaus großes Entsetzen aus.
Der Mord hinter geweihten Mauern wurde im frommen Südtirol als Entweihung empfunden.
Ein Sakrileg.
Wenige Tage nach der Bluttat von St. Gertraud wurde Pfarrer Josef Steinkasserer unter Mordverdacht in Haft genommen.
Ein Geistlicher als Mörder?
Der Fall Steinkasserer – der wohl spektakulärste Verbrechensfall des 20. Jahrhunderts in Südtirol.
Artur Oberhofer rekonstruiert diesen Kriminalfall auf der Grundlage von bislang unveröffentlichten und jahrzehntelang unter Verschluss gehaltenen Akten.
In einer packenden Spurensuche fördert der Autor bislang unbekannte Details zutage – und fügt 33 Jahre nach der Bluttat von St. Gertraud erstmals ein Gesamtmosaik des Falles Steinkasserer zusammen.
Gänsehaut-Literatur vom Feinsten.

ISBN 88-88396-07-1
Hardcover – 500 Seiten
Preis Italien: 30,00 Euro
Preis Ausland (D-A-CH): 31,00 Euro

Die erloschene Spur

Die NEUE SÜDTIROLER TAGESZEITUNG über den Fall Josef Steinkasserer (2006)

Monatelang hat die Staatsanwaltschaft Bozen im Geheimen zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle in Südtirol ermittelt: den Fall Josef Steinkasserer. Die Hoffnung, den Mord an der Häuserin Luise Fliri Platzgummer nach mehr als drei Jahrzehnten mit einer DNA-Analyse doch noch aufklären zu können, hat sich jetzt zerschlagen. Somit bleibt der Mord in Ulten unaufgeklärt – es sei denn, der Pfarrer bricht endlich sein Schweigen.

Es war eine der letzten Amtshandlungen des Leitenden Oberstaatsanwaltes am Landesgericht in Bozen. Kurz vor seiner Wahl zum Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hat Cuno Tarfusser im Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Padua formell nachgefragt, ob das dort bis heute aufbewahrte Spurenmaterial zum Mordfall Luise Fliri Platzgummer DNA-tauglich sei. Zahlreich „alte“ Mordfälle, die so genannten „cold cases“, konnten mit den neuen gerichtsmedizinischen und labortechnischen Instrumentarien, wie beispielsweise dem DNAVerfahren, nach Jahrzehnten aufgeklärt werden. Die Hoffnung der Ermittler, den vielleicht spektakulärsten Kriminalfall der Nachkriegszeit in Südtirol nach mehr als drei Jahrzehnten doch noch aufklären zu können, hat sich jetzt zerschlagen.

Die Tageszeitung kann die einzelnen Etappen dieser unter strengster Geheimhaltung durchgeführten Nachermittlung nun rekonstruieren. Eine Rückblende: In der Nacht auf den 7. November 1973, also vor mehr als 35 Jahren, wurde im Widum von St. Gertraud im Ultental die damals 64-jährige Pfarrhaushälterin Luise Fliri Platzgummer ermordet. Der Mord löste in der Südtiroler Öffentlichkeit und weit über die Grenzen hinaus großes Entsetzen aus. Die Bluttat hinter geweihten Mauern wurde im frommen Südtirol als Entweihung empfunden. Ein Sakrileg. Wenige Tage nach der Bluttat im Widum kam es zum ersten Paukenschlag: Pfarrer Josef Steinkasserer, damals 34, wurde unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen. Ein Geistlicher als Mörder? Südtirol stand unter Schock. Die Indizien gegen den Gottesmann waren schwerwiegend: Josef Steinkasserer erklärte den Ermittlern, dass zwei maskierte Männer in das Pfarrhaus eingedrungen seien (wer überf.llt ein Pfarrhaus im hintersten Ultental mit einer einzigen Fluchtroute von über 30 Kilometern?); einer der Täter sei mit einer Pistole bewaffnet gewesen und diesen Täter habe er in die Flucht geschlagen, indem er ihm einen Steinkrug entgegen geschleudert habe (lässt sich ein mit einer Pistole bewaffneter Mann so leicht in die Flucht schlagen?); während im Zimmer der Häuserin eine große Unordnung herrschte, waren das Büro und das Zimmer des Geistlichen (wo ein paar 100.000 Lire zu holen gewesen wären) unberührt geblieben; Josef Steinkasserer ließ eine Dreiviertelstunde (sic!) verstreichen, ehe er Hilfe holte, und der Pfarrer ging auch nicht in das Zimmer, um nachzusehen, ob seiner Häuserin etwas passiert sei (was das Naheliegendste gewesen wäre, zumal es sich bei Luise Fliri Platzgummer um die einzige noch im Haus wohnhafte Person gehandelt hatte).

Der Tatort in St. Gertraud im Ultental: Vergebliche Suche nach dem zweiten Mann

Ein weiteres Indiz: Josef Steinkasserer gab an, dass die maskierten Männer vom Dach des Holzschuppens durch ein Fenster in das Pfarrhaus eingestiegen seien, doch zahlreiche Glasstücke lagen auf dem Dach (was darauf schließen lässt, dass das Fenster von innen eingeschlagen worden war). Die damalige Hypothese der Ermittler: Josef Steinkasserer habe die Dreiviertelstunde verstreichen lassen, um den Täter, den er decke, die Möglichkeit zu geben, aus dem Tal zu fliehen; der Pfarrer habe die Geschichte mit den maskierten Räubern frei erfunden. Als Tatmotiv nahmen der mit den Ermittlungen betraute Staatsanwalt, Luigi Domenico Cerqua, und Carabinieri-Hauptmann Arno Mandolesi an, dass der Pfarrer sich in jener Nacht der Häuserin sexuell habe nähern wollen. Und nachdem er von der strenggläubigen Frau abgewiesen worden sei, habe er – auch um einen Skandal zu vermeiden – Luise Fliri Platzgummer ermordet. Es folgte dann ein regelrechter Prozess-Marathon: Die Kurie hatte für ihren in Ungnade gefallenen Sohn keine Kosten gescheut, die besten Advokaten und teure Detektive engagiert. Für den Klerus stand damals viel auf Spiel: Ein Pfarrer als Mörder der Häuserin – das wäre ein Image-GAU gewesen. Im ersten Schwurgerichtsprozess in Bozen, der am 24. April 1974 begann, wurde Pfarrer Josef Steinkasserer von der Mordanklage freigesprochen – aber nur aus Mangel an Beweisen. Der Pfarrer war offiziell zwar wieder in Amt und Würden. Aber die Zweifel blieben. Nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung konnte Josef Steinkasserer in seinen Heimatort Ahornach zurückkehren, wo ihm die Bevölkerung einen herzlichen Empfang bereitete.

Die Ermittlung von Cuno Tarfusser zielte darauf ab, dem zweiten Mann im Mordfall Luise Fliri Platzgummer ein Gesicht zu geben. Wenn das unter den Fingernägeln des Opfers gesicherte Spurenmaterial DNA-tauglich gewesen wäre, hätte man nach 36 Jahren den genetischen Fingerabdruck des Täters gehabt.

Im Juni 1975 fand in Trient der Berufungsprozess statt. Und wiederum gab es für den Pfarrer nur einen Freispruch aus Mangel an Beweisen. Im April 1977 kam es in Venedig zum nächsten Paukenschlag: Im dritten Schwurgerichtsprozess wurde Josef Steinkasserer des Mordes an der Häuserin Luise Fliri Platzgummer für schuldig befunden und am 28. April 1977 zu 14 Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Schock für den Angeklagten. Ein Schock für dessen Verteidiger (Hugo Gamper). Und ein Schock für das ganze Land. Die Tageszeitung „Dolomiten“ sprach damals von einem „unfassbaren Urteil“. Vier Jahre später, im März 1981, kam es zum vierten Schwurgerichtsprozess im Fall Steinkasserer: In Brescia wurde Josef Steinkasserer, der von Roland Riz verteidigt worden war, freigesprochen. Aber wiederum nur aus Mangel an Beweisen. Dieses Urteil erlangte in der Folge Rechtskraft. Und es wurde still um Josef Steinkasserer, der seitdem und bis heute im hintersten Ahrntal als Pfarrer wirkt. Der Autor dieser Zeilen veröffentlichte im Herbst 2006 eine 500 Seiten starke Dokumentation zum Fall Steinkasserer – mit einer völlig neuen These. Demnach komme Josef Steinkasserer nicht als materieller Täter in Frage. Unter den Fingernägeln der Toten waren nämlich Hautpartikel und Blutspuren (die von so genannten Abwehrverletzungen herrühren) der Blutgruppe 0 gesichert. Pfarrer Josef Steinkasserer hat Blutgruppe B. Wohl aber, so die These in dem Buch, wisse Josef Steinkasserer viel mehr, als er zugegeben habe.

Hauptmann Arno Mandolesi mit Pfarrer Josef Steinkaserer und Dekan Georg Peer: Mord mit sexuellem Motiv?

In dem Buch wird ein Kurien-Insider zitiert, der ein alternatives, aber äußerst plausibles Szenario zeichnet: Demnach habe die Widumhäuserin von St. Gertraud in jener Nacht (oder bereits einige Tage zuvor) etwas gesehen (Frauengeschichten?), was sie nicht hätte sehen dürfen und dem Pfarrer gedroht, die Kurie zu informieren. Der Pfarrer habe sich dann besorgt an einen Bekannten (einen Priester?) gewandt, der die Häuserin beschwichtigen sollte. Was als klärendes Gespräch gedacht gewesen sei, sei dann in einen Streit ausgeartet, der mit einem Mord (Totschlag) geendet habe. Ein solches Szenario würde auch erklären, warum Pfarrer Josef Steinkasserer bis heute geschwiegen hat. Denn er hätte, wenn er denn mit der ganzen Wahrheit herausgerückt wäre, vermutlich einen zweiten Kirchenmann in die Mordgeschichte hineingezogen, was für ihn schwerer zu ertragen gewesen wäre als die Mordanklage, derer er sich, weil nicht der materielle Täter, nicht schuldig wusste. Der Kirchen-Insider stellt in dem Buch die These auf, dass sich Josef Steinkasserer „geopfert“ habe, „um von der Kurie noch größeres Unheil abzuwenden“. Josef Steinkasserer selbst wollte zu diesen und anderen Rechercheergebnissen nicht Stellung nehmen.

Die von Cuno Tarfusser vor wenigen Monaten initiierte und dann von Guido Rispoli fortgeführte Nachermittlung zielte darauf ab, dem phantomatischen zweiten Mann im Mordfall Luise Fliri Platzgummer ein Gesicht zu geben. Denn wenn das unter den Fingernägeln des Mordopfers gesicherte Spurenmaterial DNA-tauglich gewesen wäre, hätte man nach knapp 36 Jahren den genetischen Fingerabdruck des Täters gehabt – und diesen dann mit dem DNA von etwaigen Verdächtigen abgleichen können. Vor wenigen Tagen erhielt Guido Rispoli den ernüchternden Bescheid aus der Rechtsmedizin in Padua: Das Spurenmaterial sei nicht mehr DNA-tauglich. Somit dürfte der Mord an der armen Häuserin wohl unaufgeklärt bleiben. Es sei denn, Pfarrer Josef Steinkasserer bricht endlich sein Schweigen.

Die großen Kriminalfälle II

edition AROB

In der Nacht auf den 7. November 1973 wurde im Widum von St. Gertraud im
Ultental die 64-jährige Pfarrhaushälterin Luise Fliri Platzgummer ermordet.
Der Mord löste in der Südtiroler Öffentlichkeit und weit über die Grenzen hinaus großes Entsetzen aus.
Der Mord hinter geweihten Mauern wurde im frommen Südtirol als Entweihung empfunden.
Ein Sakrileg.
Wenige Tage nach der Bluttat von St. Gertraud wurde Pfarrer Josef Steinkasserer unter Mordverdacht in Haft genommen.
Ein Geistlicher als Mörder?
Der Fall Steinkasserer – der wohl spektakulärste Verbrechensfall des 20. Jahrhunderts in Südtirol.
Artur Oberhofer rekonstruiert diesen Kriminalfall auf der Grundlage von bislang unveröffentlichten und jahrzehntelang unter Verschluss gehaltenen Akten.
In einer packenden Spurensuche fördert der Autor bislang unbekannte Details zutage – und fügt 33 Jahre nach der Bluttat von St. Gertraud erstmals ein Gesamtmosaik des Falles Steinkasserer zusammen.
Gänsehaut-Literatur vom Feinsten.

ISBN 88-88396-07-1
Hardcover – 500 Seiten
Preis Italien: 30,00 Euro
Preis Ausland (D-A-CH): 31,00 Euro

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